Teilhabe von Frauen im Boxen: Vom Kampf der Kämpferinnen
Gern heißt es, Frauen hätten die Männerdomäne Boxen gestürmt. Doch sie waren immer dabei und wurden nur zwischenzeitlich verdrängt.
D enken wir an die 1920er Jahre und dabei an boxende Frauen, dann fallen uns Schauspielerinnen wie Marlene Dietrich oder Carola Neher ein, die Schriftstellerin Vicky Baum, die Tänzerin und spätere Regisseurin Leni Riefenstahl. Sie alle gingen in das „Studio für Boxen und Leibeszucht“, das der Trainer und Ex-Boxer Sabri Mahir, Künstler- und Kampfname „Der schreckliche Türke“, in Berlin-Charlottenburg betrieb. Gerade in der Rückschau auf die Bohème der Weimarer Republik ist gerne von Avantgarde die Rede: Mit Bubikopf und Boxhandschuh sei eine Männerdomäne gestürmt worden. Endlich.
Doch die Vorstellung, dass hier ein männlicher öffentlicher Raum von Frauen besetzt wurde, stimmt so leider nicht: Frauen waren bei allen frühen Formen des Boxens dabei, immer. Doch sie wurden hinausgedrängt. Ins Varieté- oder Rummelboxen abgeschoben – oder ins gerade mal noch tolerierte Bearbeiten von Sandsack oder Boxbirne in Sabri Mahirs Studio. Wirkliche Teilhabe an diesem Sport namens Boxen haben Frauen bis heute noch nicht, aber immerhin, ab Mitte der 1990er Jahre gab es große Schritte dorthin. 1994 wurde in Hamburg der erste offizielle Frauenamateurkampf ausgetragen, Ende 1994 erlaubte der Weltverband Amateurboxen der Frauen, 1994 wurde Regina Halmich die erste Deutsche mit Profiboxlizenz. Endlich.
In den 1970er und 80er Jahren hatte es „Box-Europameisterschaften“ und Ähnliches gegeben, die nur deswegen als inoffiziell gelten, weil Männerverbände sie nicht lizenzierten. In den 1950er und 60er Jahren musste Frauenboxen meist im Rotlichtmilieu stattfinden – seriösere Auftrittsmöglichkeiten waren Frauen, die boxen wollten, verwehrt. Nicht zuletzt, weil das Naziregime Frauenboxen verboten und verfolgt hatte. Das NS-Verbot wirkte sowohl in West- als auch in Ostdeutschland nach. Noch 1985 schüttelte sich das Neue Deutschland vor „so geschmacklosen Sportarten wie Damenboxen“.
Baum, Neher und andere waren in den 1920er Jahren nicht die einzigen. 1922 forderten etwa die Kämpferinnen des Berliner Friedrichstadtpalasts Boxerinnen eines anderen Varietés heraus. Bei einem Strafprozess 1923 in Berlin, wie der Vorwärts vermeldete, erklärte eine Zeugin, sie sei Profiboxerin: „Ich kam von Hamburg und suchte in Berlin Engagement zum Damenboxen.“ Das Fachblatt Boxsport schrieb 1921 über einen Kampfabend: „Wenn Damenboxen überhaupt eine Berechtigung hat, dann sollte derartiges, ähnlich den Damenringkämpfen, in den Vorstadtvarietés stattfinden; dort ist der richtige Platz.“
Es gab nie die Männerdomäne
Die Kölnische Zeitung schimpfte 1924 über „krasse Beispiele der Entartung und Entgleisung von an sich nützlichen Sportarten“, wozu das Damenboxen gezählt wurde. Und der Duisburger Generalanzeiger schrieb 1927 von „Kinderkrankheiten, die heutzutage überstanden sein sollten“ – gemeint waren Frauenfußball und Frauenboxen. Same story as usual: Frauen boxten, aber sie wurden als unseriös hinausgedrängt.
Tatsächlich haben Frauen schon vor dem Ersten Weltkrieg geboxt. 1911 erschien das erste deutsche Lehrbuch, „Boxen. Ein Fechten mit Naturwaffen“ von Joe Edwards, eigentlich Paul Maschke. Dessen Beispielfotos zeigten kämpfende Frauen. Sie sind nicht das erste Zeugnis von Frauenboxen in Deutschland. Der Kölner General-Anzeiger berichtete 1894 von Übungen, mit denen „Damen ihre Freundschaft werden bethätigen wollen“, unter anderem Damenboxen.
Es spricht viel für die Vermutung, dass es noch früher auch schon boxende Frauen gab. Eigentlich schon immer. Das heißt dann auch: Es gab nie die Männerdomäne, in die Frauen irgendwann eingedrungen wären, sondern es gab einen sich entwickelnden Boxsport, aus dem Frauen irgendwann hinausgedrängt wurden – und bis heute darum kämpfen, wieder hineinzukommen.
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